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Internet killed the Cruising Star

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich noch vor meinem Coming Out in einem Stadtmagazin die Rezension des Romans „Remeurs Sünden“ von Hans Scherer las. Kurz darauf nahm ich all meinen Mut zusammen und kaufte das Buch in einer lokalen Buchhandlung. Amazon gab es damals noch nicht. Beim Lesen offenbarte sich mir ein schwules Paralleluniversum, von dessen Existenz ich niemals zu träumen gewagt hätte: Eine Welt, in der sich bi- und homosexuelle Männer an öffentlichen Orten treffen, um miteinander Sex zu haben. Denn Remeurs Sünden erzählt die Geschichte von einem genießerischen Reisenden, der die Welt der Klappen, Saunen oder Stricherkneipen in Paris, London oder Amsterdam erkundet.

Ungefähr im selben Zeitraum kaufte ich mir dann auch den damals aktuellen Spartacus International Gay Guide. Dieser alphabetisch nach Ländern geordnete Reiseführer für schwule Männer enthält nicht nur Überblick über die dort geltenden Gesetze zur Homosexualität, sondern auch eine Auflistung an Orten und Einrichtungen, die für schwule Touristen interessant sein könnten, wie zum Beispiel Gay-Bars, schwulenfreundliche Hotels, Gay-Saunen – und eben Cruising Areas. Zu meinem großen Erstaunen war sogar die niedersächsische Kreisstadt, in der ich damals noch mit meinen Eltern lebte, mit gleich mehreren Einträgen in diesem Buch vertreten. Und siehe da: U.a. handelte es sich bei der öffentlichen Toilette direkt neben der Bushaltestelle, an welcher ich sieben Jahre nach der Schule auf den Bus gewartet hatte, um eine Klappe! Wie wäre mein Sexleben wohl verlaufen, wenn ich das früher erfahren hätte!? Von nun an ging ich fast jeden Tag auf diese und weitere Klappen in Hameln, trieb es mit ehemaligen Kollegen und Lehrern in Büschen im Park, informierte mich vor Reisen über Cruising Areas auf Autobahnparkplätzen oder an Stränden. Fast immer waren es die schönsten Orte in einer Stadt, die sich die Männer als Sextreffpunkte ausgesucht hatten: Die Isarauen in München, die Bullenwiese an den Ricklinger Kiesteichen in Hannover, der Mont Juic Park in Barcelona oder die Dünen von Maspalomas auf Gran Canaria!

Vor einigen Jahren änderte sich die Cruising-Kultur jedoch schlagartig: Auf öffentlichen Toiletten, auf Autobahnparkplätzen und sogar in den von mir besonders geliebten Pornokinos der Republik nahm die Anzahl der Besucher fast über Nacht spürbar ab. Und sogar auf den mittlerweile weit verbreiteten Dating-Portalen im Internet nahm die Anzahl der Anfragen deutlich ab. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies eine Folge des Siegeszugs der frei und kostenlos zugänglichen Pornoportalen im Internet ist.

Heutzutage trifft man in Cruising Areas und Pornokinos überwiegend auf Senioren. Vielleicht haben diese noch keinen Internetanschluss im Haus, mit dem sie Sexfilme schauen und kein Smartphone, über welches sie Dates vereinbaren können. Ganz andere Erfahrungen habe ich dagegen in muslimisch geprägten Ländern gemacht, in denen (nicht nur schwule) Sexwebsites gesperrt sind. In Dubai kann man auf fast jeder öffentlichen Toilette anonymen Sex haben, in Damaskus oder Istanbul dienen die Hamams als Treffpunkte, an denen sich Männer gegenseitig verwöhnen.

Somit hatte der Modedesigner Wolfgang Joop wohl recht, als er sagte: „Wenn Sex überall ist, gibt es keinen mehr.“